Figuren entwickeln (1/4)

Wünsche Ziele innere Konflikte

Im ersten Teil der Artikelreihe “Figuren entwickeln” beschäftigst du dich mit den Ursprüngen einer guten Figur. Welche Wünsche, Ziele und inneren Konflikte treiben eine Figuren an?

Im Kern ein echter Mensch

Vor der Geburt einer Figur steht ihre Empfängnis. Figuren werden aus einem Samen geschaffen – und dieser Same ist häufig eine echter Mensch. Jemand, den du persönlich kennst. Jemand, der dir am Herzen liegt. Frage dich also, bevor du eine Geschichte schreibst: Von wem handelt diese Geschichte? Wer kommt dir in den Sinn, wenn du an die Hauptfigur dieser Geschichte denkst? Nicht selten ist diese Person du selbst. Vielleicht ein vergangenes Ich. Vielleicht ist es aber auch deine Großmutter oder dein Vater. Figuren nähren sich aus echten Menschen. Sie nähren sich aus Menschen, die du gut kennst und in die du dich deshalb gut einfühlen kannst.

Figuren sind mehrdimensional

Wenn du eine spezifische Person vor Augen hast, hilft dir das dabei, deine Figur komplex zu erschaffen. Figuren sind wie Menschen. Sie sind keine Clichés oder Stereotype. Sie haben Körper. Sie haben eine Vergangenheit. Sie haben Geheimnisse. Kurz: Sie haben unzählige Facetten.

Spinne rund um den “wahren Kern” deine imaginäre Figur. Stelle dir dafür deine Figur möglichst umfassend vor. Wie sieht sie aus? Welche Haarfarbe, Augenfarbe hat sie? Welche Kleidung trägt sie am liebsten? Was hat sie in ihrer Kindheit erlebt? Was hat sie am meisten geprägt? Worüber kann deine Figur lachen? Was macht sie traurig? Wofür schämt sie sich? Worauf ist sie stolz?

Sprechen sie muss!

Sobald die Figur vor deinem inneren Auge lebendig geworden ist, musst du ihre Stimme hören. Spricht sie langsam oder schnell? Hat sie einen Akzent? Wie drückt sich deine Figur aus, verschlungen oder direkt? Welche Worte wählt sie? Hat sie irgendwelche sprachliche Eigenheiten (Lieblingswörter, eigenwillige Satzstellungen etc.)?

Wünsche, Ziele und Konflikte

Wenn eine Figur etwas wirklich will, wird sie versuchen, dieses Bedürfnis in der Geschichte zu erreichen. Denke an Gollum in Herr der Ringe. Was möchte er? Richtig, seinen Schatz. Überlege dir, was deine Figur mehr als alles andere will. Was ist ihr tiefstes Bedürfnis? Wie versucht sie dieses Bedürfnis zu stillen? Was ist ihr Ziel? Welche Konflikte stellen sich ihr in den Weg – äußere und innere.

Every character should want something, even if it is only a glass of water.

Kurt Vonnegut

Lord Voldemort aus Harry Potter strebt nach Macht. Sein Ziel ist es Harry zu ermorden, da er laut einer Prophezeiung derjenige ist, der ihn zu besiegen vermag. Voldemort setzt alles daran, diese Prophezeiung nicht wahr werden zu lassen. Darum möchte er seinen Widersacher töten, wenn er am wehrlosesten ist: als Baby. Doch warum strebt Voldemort nach Macht? Im Kern seines Wesens steckt ein ungeliebtes Kind. Ein Kind, das selbst ein Muggle ist, auf den die Vollblut-Zauberer herabschauen. Ein Kind, das Minderwertigkeitskomplexe hat. Sein Weg damit umzugehen, ist es Macht zu erlangen, der Beste zu sein – den anderen dadurch Respekt abzuzwingen. Das Böse, das er auf diesen Weg tut, ist aus Voldemorts Sicht notwendig und das einzig Logische.

Hören, Sehen, Auswählen

Sobald du deine Figur erschaffen hast, ist es notwendig, dass du sie verfeinerst – sie auf das Wesentliche reduzierst. Stelle dir deine Figur als großen Stein vor. In diesem Stein steckt deine Figur. Nur du siehst sie. Deine Aufgabe ist es, alles wegzuhämmern, das nicht zu deiner Figur gehört. Dazu gehört auch, dass du als Schöpferin deiner Figur sehr viel mehr über sie weißt, als du am Ende deinen Leserinnen mitteilst. Beim Schreiben deiner Geschichte wählst du bewusst aus, welche Facetten du von deiner Figur durchscheinen lässt – und welche nicht. Betrachte dabei die Welt aus den Augen deiner Figur.

Jede Figur hält sich für den Helden der Geschichte.

Kein Bösewicht glaubt von sich, der Bösewicht zu sein. Er hält sich vielleicht für falsch verstanden. Aus seiner Perspektive tun er nur, was notwendig ist. Eine Nebenfigur spielt nur aus Sicht der Lesenden eine Nebenrolle. Von ihrem eigenen Standpunkt aus spielt sie die Hauptrolle. Deine Geschichte hat also so viele Perspektiven wie Figuren, die in ihr vorkommen. Eigentlich spielt jede Figur die Hauptrolle. Dass du sie nur einer Figur tatsächlich gegeben hast, wissen zum Glück die meisten nicht.

Schreibpraxis

Erfinde deine eigene Figur und lasse sie in einem vertrauten Kontext. Für die Schreibübung: Der unbekannte Dritte brauchst du dein Lieblingsbuch (oder Film).

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Neugierig, wie’s weitergeht? Hier kommst du zu den nächsten Teilen des Grundlagen-Moduls “Figuren entwickeln”:

Anmerkung

Diese Inhalte dieses Blogartikels basieren auf den Materialien des Moduls “The Craft of Character” der Dozentin Amy Bloom. Das Modul ist Teil der Coursera-Spezialisierung “Kreatives Schreiben”.

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